Architektur, Wissenschaft, Geschichte
Der Einsteinturm auf dem Telegrafenberg in Potsdam
Autor Leon Eber
29. Mai 1919. In der Stadt Sobral im Norden Brasiliens und auf der Insel Príncipe vor der Westküste Afrikas warten zwei britische Forscherteams auf die Verfinsterung der Sonne. Was sie an diese für sie entlegenen Orte verschlägt, ist die Möglichkeit, einen Beweis für Einsteins Relativitätstheorie zu finden. Zwar hatte Einstein bereits 1915 seine Theorien vor der Preußischen Akademie der Wissenschaft präsentiert, bisher blieben sie aber eben das: Theorien. Der Nachweis ihrer Richtigkeit an messbaren Naturphänomenen fasziniert bis heute die Wissenschaften.
Im Mai 1919 gelang es den Teams um den Astrophysiker Arthur Eddington, anhand der spezifischen Konstellation „ihrer“ Sonnenfinsternis die von Einstein theoretisierte Krümmung der Raum-Zeit zu messen und auf Fotoplatten zu bannen. Durch die Messergebnisse konnte Einsteins Theorie belegt und die abweichenden Vorhersagen Issac Newtons widerlegt werden. Die New York Times titelte dramatisch: “Lights all askew in the heavens” („Die Lichter am Himmel sind schief“) – und während in den Sphären des Newtonschen Weltbilds die Sterne schief am Himmel hingen, stieg Einstein in die Sphären zeitloser Berühmtheit auf …
Wer einen Ort dieser bewegten Zeit bestaunen will, der sei eingeladen auf den Telegrafenberg in Potsdam. Hier wurde 1922 der „Einsteinturm“ errichtet. Federführend bei Planung und Bau war Erich Mendelsohn, ein bedeutender Architekt des 20. Jahrhunderts und prominenter Vertreter der Stromlinienmoderne. Modern wirkt der Bau noch heute – was das Preußische Hochbauamt 1919 von Mendelsohns futuristischen Plänen dachte, kann man sich ausmalen. Dass der Turm dennoch gebaut wurde, dürfte auch daran gelegen haben, dass Einstein höchstpersönlich Spenden sammelte, die immerhin die Hälfte der Baukosten deckten.
Besichtigung & Führungen
Wer den Einsteinturm von außen besichtigen will, kann das jederzeit tun. Wer darüber hinaus Interesse an einer Führung hat, kann sich bei der Urania Potsdam anmelden, auch wenn momentan noch Bauarbeiten den Betrieb einschränken. Eingebettet ist der Turm in die Wälder und Parkanlagen des Telegrafenbergs und den „Wissenschaftspark Albert Einstein“, einen der traditionsreichsten Wissenschaftsstandorte Deutschlands – Freunde von Natur, Wissenschaft und Architektur kommen hier voll auf ihre Kosten.
Der Turm ist nicht nur architektonisch ein Monument der Moderne: Die elegant geschwungenen Dächer und Treppenläufe sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier – bis heute – um einen Ort der Forschung handelt. Im Inneren des Turms wurde auf eigenem Fundament und unter peinlicher Einhaltung konstanter Temperatur und Luftfeuchtigkeit ein Sonnenteleskop eingebaut, das dazu dienen sollte, unter der Leitung des Astronomen Erwin Finlay-Freundlich die Rotverschiebung des Sonnenlichts zu messen und eine weitere Vorhersage Einsteins zu bestätigen.
Die drei Visionäre des Einsteinturms, Albert Einstein (Bild mittig), Erwin Finlay-Freundlich (Bild rechts) und Erich Mendelsohn (Bild links) emigrierten bis 1933 aus Deutschland oder wurden vertrieben. Der Turm auf dem Telegrafenberg ist daher nicht nur Zeugnis einer Phase des Aufbruchs und Neubeginns in Architektur und Forschung, sondern auch eindrückliche Erinnerung an das blühende jüdische Leben im Deutschland der 1920er Jahre.
Wer mehr über den Einsteinturm und andere Zeugnisse der Moderne in Brandenburg lernen will, kann einen Blick in Die Mark Brandenburg Nr. 114 werfen.